´93, ´96, ´97, ´99, 2001, 2002, 2007, 2011, 2013, 2014 und jetzt wieder 2015, was Horst Seehofer vor 23 Jahren begann, findet unter Minister Gröhe seine konsequente Weiterentwicklung. ägnw-Mitglied Konrad Schneider-Grabenschröer zum GKV-VSG.
10 Spielarten sind uns mittlerweile bekannt: Gesundheitsstrukturgesetz, Beitragsentlastungsgesetz, Neuordnungsgesetz, Solidaritätsstärkungsgesetz, Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz, Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz, Beitragssatzsicherungsgesetz, Modernisierungsgesetz, Wettbewerbsstärkungsgesetz, Patientenrechtegesetz, Präventionsgesetz.
Die aktuelle Variante nennt sich Versorgungs-Stärkungs-Gesetz, kurz GKV-VSG und entlockt vielen Kolleginnen und Kollegen im Praxisalltag bis jetzt noch ein müdes Gähnen. Dieses Gesetz soll wieder einmal ein „stabiles, zukunftsfähiges soziales Krankenversicherungssystem konsequent weiterentwickeln und mit neuen Instrumenten ergänzen“.
Aber das, was die Politik uns Niedergelassenen und unseren Patienten zum wiederholten Mal zumutet, entpuppt sich als grundlegender Paradigmenwechsel im deutschen Gesundheitssystem.
193 Seiten umfasst der Kabinettsentwurf, der jetzt in die parlamentarische Zielgerade einbiegt. Ein Werk, das in seiner Regulierungsbreite und Reglementierungstiefe für uns Betroffene so komplex aufgebaut ist, dass die eigentliche Intention des Gesetzgebers im Nebulösen verschwindet. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.
Wagt man sich Schritt für Schritt in das juristischen Dickicht vor, erkennt man in dieser Gesetzesvorlage letztendlich einen verdeckten Frontalangriff auf die wohnortnahe Patientenversorgung durch inhabergeführte Arztpraxen. Gewissermaßen der Einstieg in den Ausstieg. Natürlich bedient sich das Ministerium eines bewährten Sprachmodus: die Ansprüche der Patienten werden ausgeweitet, die Fachärzte spielen die „Bad-Guys“ und die Hausärzte sollen wiedermal aufgewertet werden.
„Divide et Impera“, so hat es noch immer funktioniert.
Während sich viele Hauptamtliche in den Kassenärztlichen Vereinigungen längst intensiv mit der Umsetzung der Gesetzesvorlage beschäftigen, artikulieren Andere noch ihren Protest in Formulierungen, die viele Kolleginnen und Kollegen im Praxisalltag augenblicklich nicht mehr erreicht.
„Verlust der Freiberuflichkeit, Aufhebung der freien Arztwahl, Bevorzugung von Kliniken, MVZ´s & Hochschulambulanzen, staatliche Bevormundung der Selbstverwaltung, etc. p.p.!“
Dabei sind laut Stimmungsbarometer der KV-Niedersachsen 61% unzufrieden mit der berufspolitischen Interessenvertretung gegenüber der Politik, 57% gegenüber den Kassen. Die angeführten Gründe: mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der Selbstverwaltung, Einflusslosigkeit der Basis, unzureichende Honorare für die eigentliche kurative ärztliche Tätigkeit und Bürokratisierung unseres Behandlungsalltages.
Gleichgültigkeit beschreibt die vorherrschende emotionale Regungsäußerung vor Ort in den Praxen. Man hat sich in diesem Mangelsystem mehr oder minder eingerichtet. Jeder hilft sich so gut er kann, greift vom Kassenhonorar ab, was ihm möglich ist und/oder bedient sich sogenannter bevorzugter Versorgungsverträge.
Diese Resignation ist augenscheinlich verantwortlich für die gegenwärtige Ruhe, wobei die Selbstverwaltung als berufspolitische ärztliche Interessenvertretung in den vergangenen Jahren leider zum Spielfeld basisferner Verbändeinteressen geworden und zur Plattform narzisstischer Selbstdarstellung mutiert ist.
Doch Achtung, dieses Versorgungs-Stärkungs-Gesetz geht uns ans Portemonnaie. Das bekannte Verfahren „rechte Tasche – linke Tasche“, „hier etwas mehr Hausarzt – dort etwas weniger Facharzt“ wird nunmehr zu Gunsten der Kliniken umfunktioniert. Hier erscheint ein Player auf der Bildfläche, der gemäß den Vorstellungen der Politik aus dem Topf der ambulanten Praxen bedient werden soll.
Wer zahlt nun aber die Zeche für die „neuen Instrumente“ dieses „stabilen, zukunftsfähigen und sozialen Krankenversicherungssystems“?
Wer trägt die Kosten für die populistischen Termin-Service-Stellen?
Wer trägt die Kosten für die Praxisaufkäufe?
In Niedersachsen wird für die Termin-Servicestelle alleine ein Betrag von 6 Millionen Euro jährlich veranschlagt, der dann über die allgemeine Verwaltungsgebühr Quartal für Quartal auf alle Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten umgelegt wird.
Für den Praxisaufkauf werden schon jetzt Rücklagen im Sicherstellungsfonds gebildet, die mittels einer Umlage von aktuell 0,6 % vom Honorarumsatz gespeist werden.
Nun ja, ob nun 2,25 % oder etwas mehr Prozent für die Verwaltungsumlage und 0,6 % oder etwas mehr Prozent für die Sicherstellungsumlage – macht den Kohl wohl zunächst auch nicht fett, d’accord !
Aber aus welchem Topf werden die Behandlungenkosten in klinikgestützten Facharzt-Ambu-lanzen bezahlt?
Hier mag eine Äußerung eines regionalen Klinik-Geschäftsführers nachdenklich stimmen:
Zitat-Anfang – „Ich will ein Stück von Ihrem ambulanten Kuchen“ – Zitat Ende.
Sie fragen nach der Größe des „Tortenstückes“?
Hier ist der juristische Ductus eindeutig, da heißt es u.a. „die Inanspruchnahme von Krankenhäusern durch Versicherte umfasst auch weitere auf den Termin folgende notwendige Behandlungen, die dazu dienen, den Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen“.
Und weiter, „die Vergütung der Leistungen, die im Rahmen einer Inanspruchnahme nach § 76 Absatz 1a erbracht werden, wird vom Krankenhausträger nach Maßgabe der regionalen Euro-Gebührenordnung mit der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet“ und „die Vergütung der Leistungen, die im Rahmen einer Inanspruchnahme nach § 76 Absatz 1a erbracht werden, erfolgt mit den festen Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung zu Lasten des Anteils der morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen, der für den Bereich der fachärztlichen Versorgung zu bilden ist,“ und „eine Kürzung der Vergütung um einen Investitionskosten-Abschlag und eine Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sind nicht vorzunehmen“.
Und im Anschluss: „dabei sollen die von fachärztlich tätigen Ärzten erbrachten hausärztlichen Leistungen nicht den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütung mindern“.
Unter diesen Bedingungen – ohne Budgetierung und Quotierung, ohne Praxisfanzierungs-, Geräteunterhaltungs- und Personalkosten – kann sich für Klinken ein EBM betriebswirtschaftlich rechnen, dessen Kalkulation für uns Niedergelassene mit 30% unterfinanziert ist.
Man mag uns Praxisinhabern ja vorwerfen, dass wir seit Jahren keine Phantasie besitzen, feste und kostendeckende Preise durchzusetzen. Wie viel Phantasie vermag anderseits eine Krankenhaus-Geschäftsführung entwickeln, die in Anbetracht nicht kostendeckender DRG´s, in betriebswirtschaftlichem Zugzwang steht.
Zur Veranschaulichung mögen zwei Beispiele genügen:
1.) „Somatisierungsstörung i.S. eines Reizdarm-Syndrom“:
Überweisung HA zum FA: Abklärung unklare Bauchbeschwerden, Sono o. B., Labor o.B., Frage: Coloskopie – zur Mit- & Weiterbehandlung. Meldung Patient an Facharzt Innere/Gastoenterologie: Termin in 5 Wochen. Meldung Patient an Terminservicestelle: akute Bauchbeschwerden, der Hausarzt meint es wäre eine kurzfristige Darmspiegelung erforderlich! Servicestelle an Patient: Termin Krankenhaus-Ambulanz: Ergebnis Colo ohne Befund => Wiederholung Sono + Labor => Gastro => CT – Abdomen => Chirurgie: ggf. diagnostische LAP oder Gyn …. !
2.) „Parästhesien bei V.a. Karpaltunnelsyndrom“:
Überweisung HA zum FA => kein Termin weil dezente klinische Beschwerden => Termin-Servicestelle => Neurologie Krankenhaus => ggf. hausinternes MRT zum Ausschluss Radikulopathie => ggf. hausinterne Orthopädie zum Ausschluss HWS-Blockade, etc. etc. Schlussendlich § 115 ambulantes Operieren in hauseigener Chirurgie.
Dies Alles zu Lasten der fachärztlichen Gesamtvergütung, unbudgetiert zu festen EBM-Preisen ohne Plausibilitätsprüfung.
Mit diesem Procedere ist die Ausdünnung der selbstständigen, niedergelassenen Fachärzte programmiert. Deren Gesamtvergütung reduziert sich in kleinen Schritten, die Zuweisungen für die RLV und QZV sinken, die Überschreitungsquoten steigen, die Rentabilität geht verloren, die Praxen schließen, Freiberuflichkeit stagniert und der Patient wird zunehmend zum Rendite-Objekt für betriebswirtschaftlich agierende, renditeorientiert Krankenhausketten.
Die Mühlen mahlen langsam, aber nach 13 Jahren deutscher Gesundheits-Gesetzgebung ist ein erstes Ziel erreicht: Staatsmedizin zu Gunsten klinikgestützter Versorgungsstrukturen. Staatsmedizin als Prinzip vermeintlich sozialer, gesundheitlicher Daseinsvorsorge.
Von da aus ist es dann nur ein kleiner Schritt zum „MANAGED CARE“ a´la Rhön, Asklepios, Fresenius oder sonstiger Gesundheitskonzerne.
Gesetzliche Mühlen mahlen langsam, Staatsmedizin ist das Ziel, MANAGED CARE der Klinikkonzerne der Weg.
Ein Zustand den wir uns als Ärzte in Verantwortung gegenüber unseren Angestellten und Familien, aber auch in Sorge, um eine von Dritten unabhängige Behandlung unserer Patienten nicht wünschen können.
Aus diesen Gründen sollten wir diesem Gesetz nicht mit der sonst so verständlichen Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit begegnen.
Machen wir uns die Mühe und lesen die 193 Seiten, misstrauen Sie der gegenwärtigen „Stille“ und werden aktiv.
Die ägnw führt gegenwärtig eine Faxaktion durch. Beteiligen Sie sich oder fordern Sie die Vorlage in der Geschäftsstelle an.
http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/V/Versorgungsstaerkungsgesetz/141217_Entwurf_VSG.pdf